Wozu Latein?

Latein – Basissprache Europas

Über 200 Millionen Menschen allein in Europa besitzen eine Muttersprache, die sich aus dem Lateinischen entwickelt hat und diesem noch heute sehr ähnelt. – Wer hätte das gedacht, als, der Sage nach, 753 v. Chr. ein Romulus nach dem  Mord an seinem Bruder seine neu gegründete Stadt überwiegend mit Gesetzlosen anfüllte und gleich als nächste Bluttat die Frauen der Sabiner raubte, um überhaupt erst ein funktionierendes Staatswesen aufbauen zu können? Zu diesem Zeitpunkt war dieses kleine Stück Land in Mittelitalien seinen etruskisch sprechenden Nachbarn im Norden oder den Griechen an der südlichen Küste nicht nur kulturell weit unterlegen.

Doch der Siegeszug des Lateinischen als wichtigste Verkehrs-, Literatur-, Wissenschafts- und auch Alltagssprache in Westeuropa ist beinahe unvergleichlich. Denken wir an Wörter wie die Meile (von „milia“, tausend Doppelschritte), ans Literaturstudium („studium litterarum“, Beschäftigung mit den Buchstaben), an den Homo sapiens, die wissenschaftliche Bezeichnung für den Menschen, oder an etwas so Gewöhnliches wie ein Fenster (von „fenestra“): Wie man sieht, finden sich die Spuren des Lateinischen in vielfältiger Weise auch außerhalb der romanischen Sprachen, also etwa im Deutschen, und noch viel umfangreicher im Englischen.

Wer Latein kann, sitzt sozusagen an der Basis dieser Entwicklung und erwirbt sich neben dem „Zugangscode“ zu über 2000 Jahren lateinischer Schriftlichkeit auch die besten Voraussetzungen für ein relativ müheloses Erlernen einer Reihe moderner Fremdsprachen.

Sprachkompetenz erwerben

Das hängt damit zusammen, dass der Lateinlehrgang viel systematischer, auch viel kleinschrittiger aufgebaut ist, als man es etwa vom Englischen gewohnt ist. Man wird sich viel länger mit einer einzelnen Wortform beschäftigen, sowohl nach ihrer grammatischen Funktion im Satz als auch nach ihrer genauen Bedeutung fragen und dann nach der bestmöglichen Wiedergabe im Deutschen suchen. Man wird darüber nachdenken, wie Sprache überhaupt zustande kommt und was Sprache beim Zuhörer auslöst.

Mit alldem schult der Lateinunterricht genaues Hinsehen, Konzentration und ganz besonders die muttersprachliche Kompetenz. Und nicht nur, weil wir uns beispielsweise Gedanken machen, welche Zeit man korrekterweise in einem „nachdem“-Satz verwendet, sondern weil wir zwangsläufig auch mit Vokabeln in Kontakt kommen, die im heutigen Deutsch kaum mehr verwendet werden (unser Lateinbuch kennt etwa „Gefährte“, „Greis“ oder „preisen“) und somit unseren eigenen Wortschatz und unsere Ausdrucksfähigkeit erweitern.

Auch dieses Instrumentarium lässt sich wiederum vielfältig außerhalb des Lateinunterrichts anwenden. Vor allem im Deutschunterricht tauchen fast dieselben grammatikalischen Fachbegriffe auf, mit denen wir in Latein hantieren. Das gilt aber ebenso für die Analyse von Texten, für die Benennung von Stilmitteln oder für die Interpretation von Abbildungen, ganz gleich, in welchem Fach.

Wissen über die Antike als Denkanstöße verwenden

Auch wenn zunächst die Spracharbeit im Vordergrund steht, führt uns der Lateinlehrgang in eine fremde Welt, die uns so fremd bei genauerem Hinsehen gar nicht ist. Zum Beispiel: In den Lesestücken begegnen uns römische Sklaven – glücklicherweise von ihren Herren meist gut behandelt. Sklaverei – glücklicherweise ein längst abgeschlossenes Kapitel der Geschichte! Oder? Gibt es heute wirklich keine Sklaverei und Ausbeutung und Rechtlosigkeit mehr?

Wir begegnen einer Mythologie voller eigennützig handelnder Götter, einem intriganten Odysseus, einer selbstlosen Antigone, einem großen Erfinder Dädalus; wir begegnen erstaunlich modernen philosophischen Anschauungen der Antike und wir erleben die Integration des Christentums in die römische Welt.

Und wir begegnen unterschiedlichen Vorstellungen von Machtausübung: Ein Cincinnatus, der sich als Diktator in den Dienst der Allgemeinheit stellt und seine Macht freiwillig zurückgibt, einen maßlosen Eroberer wie Cäsar, der sich ohne zu Zögern über das Recht hinwegsetzt, oder einen abgehobenen Kaiser Caligula, der sein Pferd zum Konsul ernennen will. All diese Gestalten lehren uns als nachahmenswerte oder abschreckende Beispiele, oft beides in einer Person, unsere eigene Verantwortung für eine menschliche Ausgestaltung unserer Gegenwart und Zukunft.

Fachspezifische Schwierigkeiten

  • Latein erfordert kontinuierlichen Arbeitseinsatz: Selbständiges Wiederholen von Wortschatz und Grammatik ist eine Selbstverständlichkeit, nicht nur vor Arbeiten oder Tests.
  • Lateinische Vokabeln haben einen großen Reichtum an unterschiedlichen Formen (Endungen von Nomen und Verben), die zwar einem logischen System folgen, aber dennoch auswendig gelernt werden müssen.
  • Relativ schnell arbeitet man mit langen Sätzen und anspruchsvollen Texten, deren Erfassen große Aufmerksamkeit erfordert.

Fachspezifische Vorteile

  • Latein wird im Prinzip gesprochen, wie man es schreibt. Die korrekte Aussprache ist zwar wichtig, macht aber keine Schwierigkeiten.
  • Es wird überwiegend vom Lateinischen ins Deutsche übersetzt, der Unterricht erfolgt auf Deutsch.
  • Die Sprache ist sehr logisch aufgebaut: Wer die gelernten Regeln anwendet, kommt auch immer zum Ziel. Es dürften bei Arbeiten und Tests also selten Ãœberraschungen auftreten.

Über Latein als Schulfach informiert auch die Broschüre Latein für alle – Omnibus des Deutschen Altphilologenverbandes.